Die Gelassenheit der Lady Diletta überträgt sich auf Crew und Gäste
Behäbig fließt die Mosel unter dem Kiel der Lady Diletta hindurch. In Sichtweite gabelt sich der Fluss. Eine überschaubare, bewaldete Insel inmitten des Flusslaufs. Krüppelige Bäume, wucherndes Unterholz. Und schon stolpere ich mit nackten Füßen über Wurzeln und Äste hinweg, die Nerven gespannt wie die Sehne meiner Steinschleuder, immer in Erwartung einer Begegnung mit Ureinwohnern. Schließlich aber nehme ich feierlich und mit großer Geste das Eiland in Besitz und baue dann eine Hütte aus Reisig und Schilf – gemeinsam mit meinen Freunden Tom und Huckleberry.
Ein Tagtraum – ja. Aber das Erwachen bringt keine Enttäuschung. Auf dem Tisch neben mir steht ein kühles Bier, das golden in der Nachmittagssonne leuchtet. Dahinter ziehen Flussinseln und Weinberge vorbei, Dörfer mit spitzen Kirchtürmen, am Ufer Kinder, die Steine in die grünen Algen der Mosel werfen, Graureiher und gründelnde Schwäne. Die Zeit vergeht langsam, passt sich der Fahrt des weißen Liners auf dem Fluss an. Sie ist da und nimmt sich die Zeit, die sie braucht: die Entschleunigung.
Selbst spannende Ereignisse verlaufen gelassen. Die Passage einer Schleuse dauert mit Wartezeit und Manöver schon mal ein bis zwei Stunden. Und wer in der Ferne auf einer Anhöhe eine pittoreske Burgruine entdeckt, kann noch in Ruhe die Kamera aus der Kabine holen.
„Flussreisen hat etwas mit ‚zur Ruhe kommen‘ zu tun. Unser Entertainment liegt rechts und links vom Schiff. Da brauchen wir keine Action, müssen nicht aufdrehen“, bestätigt Kreuzfahrdirektorin Alexandra Cortese. Ob Flusskreuzfahrten deswegen eher etwas für ältere Menschen ist, wollte ich noch wissen. „Es ist unfassbar gut geeignet für ältere Herrschaften“, räumte sie ein, aber: „Wer sich darauf einlässt, kann das auch als junger Mensch sehr gut genießen.“ Und weiter: „In diesen Zeiten ist es eh nicht angebracht, Menschen mehr als notwendig zusammen zu führen. So haben wir bewusst auf Veranstaltungen verzichtet, in denen man die Lounge brechend voll sehen will. Aber es wird auch wieder Zeiten geben, in denen man darüber nachdenkt, Fahrten unter ein bestimmtes Motto zu stellen, Künstler engagieren oder passende Vorträge zu halten.“ Sprach’s und machte sich wieder an die Arbeit.
Über Lautsprecher galt es, die Käste zu Kaffee und Kuchen zu laden. Nur zur Kaffeezeit zeigt sich, dass das Schiff gut belegt ist. Die etwa 155 Passagiere verteilen sich weitläufig auf der 135 Meter langen und maximal 173 Passagiere aufnehmende Lady. „Wir werden von den Behörden wie ein Hotel betrachtet, die ja auch auf Hygiene-Regeln achten müssen und dennoch alle Zimmer belegen dürfen“, erläutert Alexandra. Die durchaus beachteten Corona-Regeln sind problemlos einzuhalten. Einbahnstraßenregelungen machen es ebenso möglich, wie die Verteilung der Gäste auf zwei Tischzeiten mittags und abends. Auf den Wegen zur Kabine oder zum Tisch trägt jeder seine Maske. Nur selten müssen die Crew-Mitglieder daran erinnern.
Es ist, als ob alle an Bord froh sind, wieder unterwegs sein zu dürfen. Das merkt man besonders der Crew an. „Lieber Gott“, entfährt es Alexandra, „danke, dass ‚Plantours‘ auch auf dem Fluss so breit aufgestellt ist!“. Der Veranstalter „Plantours-Kreuzfahrten“ hat gleich zwei Sachen richtig gemacht. Neben dem breiten Angebot hat man sich in Bremen auf den deutschen Markt ausgerichtet, derweil andere auf Japaner und US-Amerikaner warten. Für die Weihnachts- und Neujahrszeit will Plantours gar ein weiteres Schiff in Dienst stellen.
Ich bin in Plauderlaune und treffe mich mit Kapitän Raul Kraaier und seinem Vize Radek Dupal auf der Brücke. Radek dirigiert das 173-Meter-Schiff mit einer Art Joystick. Anklopfen genügt. Jeder kann die Brücke betreten. Überhaupt sind beide Kapitäne zum Anfassen und welche, die auch jederzeit und überall mit anfassen. Wenn seine Lady Diletta, die er erst vor wenigen Monaten von der Werft abgeholt hat, am Steiger liegt, dann greift Raul auch schon mal zum Pinsel und bessert aus. „An einem Schiff gibt es immer was zu tun“, erklärt er. „Aber wenn ein Schiff gut aussieht, dann ist das eine Visitenkarten für den Kapitän und die Mannschaft. Und wenn das Schiff im Hafen liegt, Menschen gehen vorbei sagen: ‚Oh, das sieht aber gut aus!‘, dann können wir alle stolz sein. Aber dafür müssen wir auch alle etwas tun.“
Für Raul Kraaier und Rade Dupal stand schon früh fest, dass sie auf den Fluss wollen. Ein wenig amüsant ist Rauls Begründung: „Ich liebe das Wasser, aber auf dem Meer werde ich seekrank“, lacht er mich entwaffnend an. Beide haben viele Jahre auf Frachtschiffen verbracht. Doch nun wollen sie nicht anderes mehr führen als ein Passagierschiff. „Es ist eine Herausforderung, zwei völlig verschiedene Mannschaften zu betreuen. Die Besatzung des Schiffs und das Gastronomie-Team. Da ist viel zu koordinieren. Und es ist eine Herausforderung, verantwortlich für rund 200 Menschen zu sein. So vergisst er in seiner Ansprache beim Abschiedscocktail nicht zu erwähnen, dass die meisten Mitarbeiter auf dem Schiff viele Monate nicht nach Hause können, weil Quarantänezeiten länger wären als der Urlaub selbst. Aber die Verantwortung für sein Schifft und seine Leute ist keine Belastung für Kapitän Raul Kraaier und den 2. Kaptitän Radek Dupal. „Es macht uns Spaß!“ Offensichtlich macht den beiden auch das Manöver vor und in einer Schleuse Spaß. Auch wenn wir an diesem Nachmittag drei Schiffe abwarten und mithin drei Stunden warten mussten. Kein Grund zur schlechten Laune. Bei niemandem. Wir klönen noch ein wenig über dies und das. So vergeht die Zeit – nicht träge, aber gelassen.
Schließlich schalten die Lichter auch für die Lady Diletta auf Grün. Zur Beachtung: Die schlanke Lady ist elf Meter und 65 Zentimeter breit. Die Schleusenwanne zwölf Meter… Also gilt es, auf 135 Metern Schiffslänge rechts und links nicht mehr als jeweils 17 Zentimeter abzuweichen. Noch mal zurücksetzen ist nicht! Da dauert es schon einige Minuten, bis das Schiff im Schneckentempo von Bug bis Heck in der Schleuse ist. Wenn Kapitän Raul Kraaier den Kopf über die Reling neigt, um den Abstand zur Schleusenmauer zu überwachen, muss er aufpassen, sich daran nicht den Kopf zu stoßen.
Während die Gäste in zwei Gruppen zu Tisch gebeten werden, legt die Lady Diletta in Bernkastel an. Nach Koblenz, Cochem und Trier ein weiterer, romantischer Ort, ein weiteres Fest für die Kamera. Aber wir alle haben Zeit. Erst mal in Ruhe das Vier-Gänge-Menü genießen! Es sind vier kleine, äußerst exquisite Gänge, die insgesamt genau die richte Menge haben, die die Gäste sättigt aber nicht träge macht. Auch hier wird zügig aber in Ruhe serviert. Hotelmanager Ovidu Nicolescu macht wie stets einen trockenen Scherz zum trockenen Wein. Und wenn die zierliche und flinke Borislava Kacheva zum Einschenken eines Biers die linke Hand in den Rücken legt und mit der Flasche in der Rechten das Bierglas in die Schräge drückt, dann ist das großes Ballett.
So gestärkt machen wir uns auf zu einem Gang durch das abendliche Bernkastel. Das Schiff bleibt über Nacht bis zum Mittag des kommenden Tages. Morgen am Vormittag wird manch einer die Gelegenheit wahrnehmen, im Rahmen einer Führung Allgemeines und Spezielles über den mittelalterlichen Ort zu erfahren. Es empfiehlt sich durchaus, daran teilzunehmen. Voice-Boxes übertragen die Erläuterungen der Stadtführer*Innen ins Ohr derer, die zwar mitgehen aber nicht unbedingt zu nahe bei der Gruppe sein wollen.
Bei dieser spätsommerlichen Fahrt von Düsseldorf aus über Koblenz in die Mosel von Cochem bis nach Tier und von Bernkastel über die Loreley und Rüdesheim zurück in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt hat man das richtige Maß gefunden. Stets war die Hälfte des Tages mit Spazier- und Erkundungsgängen in den malerischen Städtchen an Rhein und Mosel ausgefüllt und die andere Hälfte ließ Zeit, um auf dem Sonnendeck zwischen Auen und Weinbergen die Seele baumeln zu lassen.
Und dann versank der Blick wieder in das glitzernde Wasser des Flusses und im Hinterkopf ertönt der Bariton von William Warfield „Old Man River“, Louis gurgelt „Moon River“ oder Marilyn haucht „River Of No Return“.